
Die Geschichte der Berliner Leichenhäuser ist Teil der Geschichte der preußischen Bestattungskultur. Damals prägte die Furcht, lebendig begraben zu werden die Bestattungskultur. Die Historikerin Dr. Nina Kreibig hat intensiv zu diesem spannenden Thema gearbeitet und eine Publikation vorgelegt. In ihrem Vortrag in der Kapelle des Alten Zwölf-Apostel-Kirchhof wird es um die gesellschaftlichen Hintergründe der Einführung der Leichenhäuser im langen 19. Jahrhundert sowie um die zahlreichen Konflikte gehen, die sich daraus ergaben.
1866 wurde auf dem Friedhof der Zwölf-Apostel-Kirche in Schöneberg ein ästhetisch hochwertiges Leichenhaus errichtet. In ihm sollten die Leichen der verstorbenen Gemeindemitglieder aufgenommen werden. Die Geschichte der Berliner Leichenhäuser reicht bis zum Ende des 18. Jahrhunderts zurück, damals war eine erste Anstalt eingerichtet worden. Damals sollten primär vorgebliche Scheintote vor einem Lebendig-begraben-Werden gerettet werden, indem sie auf Lebenszeichen hin beobachtet werden sollten. Im Laufe der Zeit veränderte sich diese Zweckausrichtung zunehmend hin zu einem hygienischen Bestreben um die Lebenden vor etwaigen schädlichen Absonderungen der Toten zu schützen.
Die Einführung der Leichenhäuser stellte eine Innovation im Bestattungswesen dar und war verbunden mit einem im späten 18. Jahrhundert aufkommenden Lebensrettungswesen. Der entscheidende Ausgangpunkt der Angst vor einem Lebendig-begraben-Werden war das Unvermögen der Ärzteschaft, den Tod nach damaliger Lesart präzise und zeitnah festzustellen. Über einen langen Zeitraum wurde lediglich der Verwesung vertraut, um den Tod sicher anzuzeigen. Die zeitverzögert einsetzende Leichenfäulnis machte bald schon die Einführung von Totenscheinen und gesetzlichen Bestattungsfristen notwendig. Daraus resultierte die Forderung nach Leichenhallen, in denen die Verstorbenen bis zur Beerdigung aufgebahrt werden konnten. Die Einführung der Leichenhäuser kann als Bruch im traditionellen Bestattungswesen interpretiert werden und wurde von religiösen und sozialen Auseinandersetzungen, medizinischen Kontroversen und politischen Abwägungen begleitet.
Nina Kreibig studierte Ur- und Frühgeschichte, Anthropologie und Alte Geschichte in Göttingen und promovierte zur Geschichte der Berliner Leichenhäuser im 19. Jahrhundert am Institut für Geschichtswissenschaften der Humboldt-Universität zu Berlin. Sie beschäftigt sich u.a. mit Sepulkralkultur und der Geschichte der Emotionen. Aktuell arbeitet sie zum Wittelsbacher Ausgleichsfonds in der Weimarer Republik.
Bild: Leichenhalle und Kapelle der Zwölf-Apostel-Kirchengemeinde. „Entwurf zu einer Todten-Halle auf dem Zwoelf-Apostel-Kirchhofe. Haupt-Ansicht. Entworfen von Bauinspector Gaertner, gezeichnet von Bauführer Weiss. October 1865"
Eintritt frei.