02/07/2024 0 Kommentare
Gedanken zum Ewigkeitssonntag
Gedanken zum Ewigkeitssonntag
# Gottesdienste und Andachten

Gedanken zum Ewigkeitssonntag
Sterben ist dem Geburtsvorgang vergleichbar. So ungewöhnlich dieser Vergleich sich zunächst anhört, so offenkundig wurde der Tod in früheren Kulturen genauso gedeutet, Verstorbene wurden bereits in der Altsteinzeit in der Embryonalstellung begraben. Martin Luther erklärte, dass die ganze Bedrängnis, die Enge und Angst eines Kindes, welches zur Welt kommt, sich im Sterben wiederholt. Es muss ertragen werden. Luther fasste in seiner kleinen Schrift „Sermon von der Bereitung zum Sterben“ im Grunde die mittelalterliche „Kunst des Sterbens“ zusammen. Es sind dies Belehrungen, deren Ziel es war, in dieser bedrängenden Passage nicht der Vernichtungsangst und Panik anheimzufallen, auch nicht den Versuchungen nachzugeben, sein Leben als verfehlt, gänzlich schuldbeladen oder sich von Gott als verworfen anzusehen –sondern einen Sinn für das von Gott her in unser Leben strahlende Wohlwollen zu wecken. Es geht um das Einüben eines erleichternden Verhaltens in der Todesstunde. Heute versucht man wiederum eine solche Kunst herzuleiten, mitunter werden sogar universitäre Forschungsprojekte gestartet, die jedoch auch immer wieder auf diese alten Schriften zurückkommen und darin wertvolle Hinweise wiederentdecken.
Luther schrieb seinen Text an einem einzigen Tag im Herbst des Jahres 1519 „mit schneller Hand“ -wie er später sagte- nieder. Bereits ein halbes Jahr zuvor hatte ihn der Hofrat Markus Schart um eine Anleitung zur Vorbereitung auf den eigenen Tod gebeten. Luther lebte zu diesem Zeitpunkt bereits in massiven Bedrängnissen. Er redet in seinem Text in kraftvollen Bildern; man spürt, dass dieser Text seiner eigenen Sinnsuche entspringt und gewissermaßen hochkonzentrierte Belehrungen enthält. Entsprechend wurde die Schrift dann auch weitverbreitet und erlebte innerhalb weniger Jahre über zwanzig Auflagen und Übersetzungen in andere Sprachen.
Zunächst beginnt Luther mit der Empfehlung seine Angelegenheiten zu ordnen, damit es später zu keinen Streitigkeiten unter den Hinterbliebenen kommt:
„Erstens. Weil der Tod ein Abschied ist von dieser Welt und von allen ihren Geschäften, ist es nötig, dass der Mensch sein zeitliches Gut in Ordnung bringe, wie es sich gehört oder er es zu regeln gedenkt, damit nach seinem Tode kein Anlass zu Zank, Hader oder sonst einem Zweifel unter seinen Hinterbliebenen Verwandten zurückbleibt. Das ist ein leiblicher oder äusserlicher Abschied von dieser Welt; hier wird Hab und Gut entlassen und verabschiedet.“
Auf gegenwärtige Möglichkeiten bezogen ergeht die Frage auch an uns: Wollen wir eine Erd- oder Feuerbestattung, wie soll der Grabstein aussehen, wo möchte ich beerdigt werden. Gerade um diese Fragen kann es bereits zu ersten bösen Auseinandersetzungen kommen. Habe ich eine Patientenverfügung gemacht, damit ich Angehörigen schwere Entscheidungen erleichtere und ihnen vielleicht tiefe Schuldgefühle nicht auflaste? Liegt ein Testament vor? „Zweitens soll man auch geistlich Abschied nehmen, d.h. man soll freundlich, rein nur um Gottes willen, allen Menschen vergeben, so sehr sie uns auch Leid zugefügt haben mögen. Umgekehrt soll man auch, rein um Gottes willen, von allen Menschen Vergebung begehren; denn zweifellos haben wir vielen von ihnen Leid zugefügt, zum mindesten mit bösen Beispiel oder mit zu wenig Wohltaten, wie wir nach dem Gebot brüderlicher, christlicher Liebe schuldig gewesen wären. Das sollen wir tun, damit die Seele nicht mit irgendwelchen Händeln auf Erden behaftet bleibe.“
Aus der Sterbebegleitung gibt es schlimme Beispiele, wie Menschen nicht sterben können, weil sie noch einen Streit mit einem Sohn oder einer Tochter bereinigen wollen, die aber nicht auffindbar oder erreichbar sind. Wo liegen Konflikte mit anderen Menschen, an die wir uns nicht herantrauen, die uns aber jahrein, jahraus begleiten? Wo haben wir anderen Menschen Unrecht getan oder sie unabsichtlich/absichtlich verletzt? Wo waren wir zu wenig da für jemand anderen, der uns dringend gebraucht hätte? Wo hegen wir tiefen Groll und Lebenszorn? Gibt es eine Möglichkeit dies anzusprechen, vielleicht einen Brief zu schreiben? Vieles kann sich in einem wandeln, verändern, wenn es einmal ausgesprochen oder niedergeschrieben ist.
„Drittens. Wenn man so jedermann auf Erden Abschied gegeben hat, dann soll man sich allein auf Gott richten. Denn dorthin wendet sich und führt uns auch der Weg des Sterbens. Und zwar fängt hier die enge Pforte an, der schmale Pfad zum Leben; darauf muss sich jeder fröhlich wagen. Denn er ist wohl sehr enge, aber er ist nicht lang; es geht hier zu, wie wenn ein Kind aus der kleinen Wohnung in seiner Mutter Leib mit Gefahr und Ängsten hineingeboren wird in diesen weiten Raum von Himmel und Erde, d.h. auf diese Welt: ebenso geht der Mensch durch die enge Pforte des Todes aus diesem Leben, und obwohl der Himmel und die Welt, worin wir jetzt leben, für gross und weit angesehen wird, so ist es doch alles gegenüber dem zukünftigen Himmel viel engere und kleiner als es der Mutter Leib gegenüber diesem Himmel ist. Darum heisst der lieben Heiligen Sterben eine neue Geburt, und ihren Festtag nennt man auf Lateinisch „natale“, ihren Geburtstag. Aber der enge Gang des Todes bewirkt, dass uns dieses Leben weit und jenes eng vorkommt. Darum muss man es glauben und an der leiblichen Geburt eines Kindes es lernen. So sagt ja Christus: „Ein Weib, wenn es gebiert, so leidet es Angst; wenn sie aber genesen ist, so denkt sie nimmer an die Angst, weil ein Mensch von ihr in die Welt geboren ist.“ Ebenso muss man sich auch beim Sterben der Angst entschlagen und wissen, dass nachher ein grosser Raum und Freude dasein wird.“
Hier beschreibt Luther die bereits oben erwähnte gefahrvolle Passage. Aber er erblickt in ihr auch das Ziel, die „Geburt“. Zur Vorbereitung und inneren Ausrichtung „auf diese Fahrt“ beschreibt Luther nun auch die innere Ausrichtung auf Gott. Wir können Gott um Vergebung für unsere Verfehlungen und Handlungen bitten, die Schaden verursacht haben. Wir können mit Gott sprechen.
„Viertens: Ein solches Sichrichten und Vorbereiten auf diese Fahrt besteht vor allem darin: man beichte aufrichtig, besonders die hauptsächlichsten Punkte, die sich zur Zeit bei möglichster Bemühung im Gedächtnis finden, und sorge für die heiligen christlichen Sakramente des heiligen wahren Leibes Christi und der Ölung, begehre sie andächtig und empfange sie mit grosser Zuversicht, wenn man sie bekommen kann. Ist das aber nicht der Fall, so soll einem nichtsdestoweniger auch schon das Verlangen und Begehren nach ihnen zum Troste gereichen, und man soll nicht zu sehr darüber erschrecken. Christus spricht: „Alle Dinge sind möglich dem, der da glaubt“; dann sind auch die Sakramente nichts anderes als Zeichen, die zum Glauben dienen und reizen, wie wir sehen werden, und ohne diesen Glauben sind sie nichts nütze.“
Es geht Luther darum, sich der Gegenwart Gottes zu vergewissern. Wir können uns die Übung geben, dass Gute in unserem Leben uns zu vergewissern. Wo wurden wir im Leben bisher gesegnet? Einen Segen zu empfangen bedeutet, die Gegenwart Gottes zu erspüren. Wo wurden wir oder jene, denen wir verbunden sind, behütet? Wo fügten sich die Dinge? Es lohnt sich diese Umstände niederzuschreiben. „Das Zählen der Segnungen“, wie man diese Übung im mittelalterlichen England nannte, hat die große Kraft Dankbarkeit in uns entstehen zu lassen. Das Abendmahl kann uns zu einem sinnlichen Zeichen von Gottes beständiger Präsenz werden, die wir in Menschen oder Situationen erfuhren. Wir sind in den dunkelsten Stunden unseres Lebens nicht allein. Und wir sind es auch nicht im Tode.
„Achtzehntens soll kein Christenmensch an seinem Ende daran zweifeln, dass er nicht allein ist in seinem Sterben, sondern er soll dessen gewiss sein, dass, wie das Sakrament es anzeigt, gar viele Augen auf ihn sehen. Erstens die Augen Gottes selber und Christi, weil er seinem Wort glaubt und seinem Sakrament anhängt; sodann die lieben Engel, die Heiligen und alle Christen. Denn daran ist, wie das Altarsakrament ausweist, kein Zweifel, dass diese allesamt herzueilen, ihm den Tod, die Sünde, die Hölle überwinden helfen und alle mit ihm tragen. Da ist das Werk der Liebe und Gemeinschaft der Heiligen ernsthaft und gewaltig im Gange, und ein Christenmensch soll es sich auch vor Augen stellen, und keinen Zweifel daran haben. Daraus wird er dann beherzt werden zum Sterben.
Neunzehntens (…) Dazu soll der Mensch alle heiligen Engel, besonders seinen Schutzengel, die Mutter Gottes, alle Apostel und lieben Heiligen anrufen, besonders diejenigen, zu welchem ihm Gott besondere Andacht gegeben hat. Er soll aber so bitten, dass er nicht zweifle, sein Gebet werde erhört.
Zwanzigstens.(…) Er zeigt und gibt dir in Christus das Bild des Lebens, der Gnade und der Seligkeit, damit du dich nicht vor dem Bild des Todes, der Sünde und der Hölle entsetzest. Er legt weiter deinen Tod, deine Sünde und der Hölle auf seinen liebsten Sohn, überwindet sie für dich und macht sie unschädlich für dich. Er lässt obendrein deine Anfechtung durch den Tod, die Sünde und die Hölle auch über seinen Sohn gehen und lehrt dich, dich darin aufrechtzuerhalten und macht sie unschädlich und auch erträglich. Er gibt dir für das alles ein zuverlässiges Wahrzeichen, damit du ja nicht daran zweifelst: nämlich die heiligen Sakramente. Er befiehlt seinen Engeln, allen Heiligen und allen Kreaturen, dass sie mit ihm zusammen auf dich sehen, auf deine Seele achtgeben und sie in Empfang nehmen. Er gebietet, du sollst das von ihm erbitten und der Erhörung gewiss sein.“
Dieser Beitrag kann nur eine kurze Einführung in diese Schrift Luthers geben. Wer vielleicht Interesse an ihr gefunden hat, findet den gesamten Text hier:
https://www.glaubensstimme.de/doku.php?id=autoren:l:luther:s:sermon_von_der_bereitung_zum_sterben
…und wer schon mit dem Gedanken gespielt hat, Dinge wie das Testament oder eine Patientenverfügung anzugehen, findet hier eine wertvolle Hilfe:
…wer sich mit den seelischen Vorgängen im Sterben auseinandersetzen will, findet hier eine fundierte Darstellung:
Text: Carsten Schmidt, GKR-Vorsitzender der Zwölf-Apostel-Kirchengemeinde
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